WILLENLOS: LEIWEN, RIESLING, JUNGWINZER

Oktoberfest kann ich nicht leiden. Seit ich als junger TV-Aufnahmeleiter eingeklemmt zwischen Oberbürgermeister und Landesvater, auf eine friedliche Wiesn anstossen musste und dabei den plärrenden Regisseur aus dem Ü-Wagen auf dem Ohr hatte, angeraunzt von Sicherheitskräften und besudelt von inkompetenten Bierzapfern, seitdem sind mir massenkompatible Zwangsbesäufnisse jeder Art zutiefst zuwider. Und dann kommt dieser Anruf von Alex Loersch, dass er mich auf die Leiwener Jungwinzerprobe einladen möchte. Als Foodblogger und Rieslingtrinker. Und ich mache mich kundig, was für ein Spektakel mich da am Ende Deutschlands, kurz vor der Grenze zum Briefkastenfirmenparadies Luxemburg erwartet. Zusammengefasst: 2.000 weinselige Menschen in einem Festzelt, Musik, Gute Laune, Stimmung. Kann man auch Hölle nennen. Also bin ich hin gefahren. Trotz Wiesntrauma.

Ein erster Augenschein am Ort des Geschehens: Mitten im Ort ein Festzelt, nicht ganz im Wiesnformat, aber doch ganz stattlich. Flankiert von einer Weinbar und einer Grillstation. Deutlich hörbar müht sich auf der Bühne eine Gruppe Rock'n'Roller 'Sweet home Alabama' möglichst akzentfrei über die beeindruckende PA zu bringen. Was auch bedingt gelingt. Ist ja nur der Soundcheck, eine Probe für die Party …

Probe und Party fangen beide mit 'P' an. Und haben in Leiwen neben der Musik auch sonst viel gemeinsam. Zum Beispiel das Trinken. Alle Gäste der Leiwener Jungwinzerprobe die im weiteren Verlauf des Abends die Bühne zu besteigen haben, werden einige Stunden im Vorfeld zur Probe gebeten. Der dem Festzelt nächstgelegene Winzer lädt in die gute Stube, es gibt Schnittchen mit Schinken und Käse, Weinprinzessinnen lächeln freundlich, der Gutssekt wird großzügig ausgeschenkt und zügig getrunken. Die Stimmung ist heiter und gelöst, das Programmmm wird durchgesprochen - erst kommst Du, dann ich und dann sagste halt was - der wesentliche Programmbestandteil „Die Moderatoren mit Harley auf Bühne“ wird gebührend kommentiert und 13 Weine werden im Laufe des Abends verkostet. Das kann was werden.



Die Halle hat sich zwischenzeitlich wie von Geisterhand gefüllt, die Massen sind heiter und mit einer Tüte Semmeln bewaffnet, die zur Eintrittskarte dazugehört. Schliesslich handelt es sich um eine ernsthafte Probe, mit Weißbrot lässt sich so schön neutralisieren. Man hat ja eine Kultur. Die Moderatoren rollen dann auch schon in die Halle, AC/DC wird eingespielt, das eigene Wort geht im Lärm unter. Die Winzerinnen und Winzer werden in kurzen Videoclips vorgestellt, in denen sie bekannte Rock und Pop Klassiker interpretieren. Das hat so gar nichts von trockener Weinprobe, wie man es von den Tastings landauf-landab kennt. Das ist jugendkompatibles Feiern mit gehobener Weinbegleitung. Die ausgesprochen gut funktioniert. Bei Wein/ Song Nr. 3 stehen die Weinköniginnen und Prinzessinnen geschlossen auf den Bänken, die Halle tobt, von links und rechts werde ich auch auf der Honoratiorenbank eingehakt und durchgeschunkelt. Meine Aufzeichnungen zu den Weinen sind schon lange verlustig, dafür hat die Hose eine schöne Rieslingfeuchte. Alles gut.




Zur Halbzeit trägt der örtliche Männerchor Rockklassiker vor. Das mag man als zugereister Großstädter skurril finden - aber es zeigt auch, dass hier so etwas wie Gemeinschaft gelebt wird. Und spätestens wenn ein 1.500 kehliges, Generationen übergreifendes 'Lola' angestimmt wird ... 'Well I'm not the worlds most physical man ....' hab ich Großstadtschnösel einfach mal die Spötterfresse zu halten. Punkt. (Anm.:  Nicht zuletzt weil Mr. Davies seit Jahrzehnten ungerecht behandelt wird. Denn die Frage 'Stones oder Beatles' sollte nicht mit 'Who' beantwortet werden. 'Kinks' wäre korrekt!!) Die Reihenfolge und Auswahl des dargebrachten Liedgutes bleibt länger im Gedächtnis als die zu verkostenden Weine. Vielleicht auch, weil die Liedtexte mit dem Dreiben im Zelt direkt zu tun haben: An Tagen wie diesen ... Here I go again …



Logo. Mit Weinprobe im bekannten Sinn hat das natürlich nicht viel zu tun. Aber mit Lebensfreude und dem Versprechen auf eine Zukunft des SteillagenMoselRieslings. Kleiner hab ich es gerade nicht, nach unausgespuckten 10 Weinen. Mal im Ernst: Nur wenn wir den Wein aus den elitären und verknöcherten Weinzirkeln lösen, hat er eine Zukunft. Und während ich derart philosophisch über den Riesling und die Jugend in all dem Treiben um mich sinniere, sehe ich aus dem Augenwinkel den guten Alex Loersch, wie er zu
Schifoan' vom Wolfgang Ambros auf Ski die Trittenheimer Apotheke raufgezogen wird. Glaubt mir in München keiner, soviel ist sicher. Naja, und dann steige ich auf die Bierbank… Und alles woran ich mich erinnere, sind eine Flasche Riesling Auslese in der Rechten und eine mir unbekannte Dame, die ihre Tochter von der Veranstaltung abholen wollte, aber vorher mich noch kurz in meine Pension gefahren hat. Freundlich sind sie, diese Moselaner, da kann man wirklich nix sagen.


P.S.: Und am 22. September geh ich mit Richie, Jo und Bernie auf die Oide Wiesn. Ich kann es auch nicht verstehen. 
Aberisshaltso.



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